Wir wollen niemanden bestrafen

Veröffentlicht am 16.10.2019 in Kreisverband

SPD-Umweltstaatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter plädiert dafür, den Klimaschutz sozial zu gestalten. Die Kritik, dass mit dem Ziel einer Treibhausgas-Neutralität bis 2050 das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung aufgeweicht werde, teilt Rita Schwarzelühr-Sutter nicht. Hier gehe es um Gestaltungsspielräume, stellte die SPD-Bundestagsabgeordnete und Parlamentarische Staatssekretärin im Umweltministerium am Tag nach der Verabschiedung des Klimaschutzgesetzes durch das Bundeskabinett fest. Bei einer Veranstaltung in der Söldener Salenberg-Halle sprach sie zum Thema ,,Klimaschutz sozial gestalten''.

Entscheidend sei doch, dass mit diesem Klimaschutzgesetz - im Gegensatz zu 2020 - zum ersten Mal gesetzlich verbindlich vorgeschrieben werde, wie viel CO2 jährlich in den Sektoren Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft ausgestoßen werden darf, warb die Politikerin um Verständnis. „Am Ende muss der Umbau in eine klimaneutrale sozial-ökologische Gesellschaft bis 2050 gelingen. Da stehe ich voll dahinter, weil wir keinen Planeten B haben“, betonte Schwarzelühr-Sutter.

Entscheidend, so die Rednerin, sei die Akzeptanz dieses Gesetzes in der Bevölkerung. Die erreiche man nur, wenn die Politik bei ihren Beschlüssen darauf achte, „dass die Menschen weiter ihre Brötchen verdienen können.“ Die Staatssekretärin verteidigte das Gesetz mit dem Argument, dass der Strukturwandel auch Zeit brauche und - wie beim weltweit einzigartigen deutschen Atomausstieg und dem Kohleausstieg - nur in einem gesellschaftlichen Konsens gelingen könne. Dazu brauche es aber flexible Handlungsspielräume, gab die Politikerin zu verstehen. Dabei rücke man aber nicht vom Zweck des Klimaschutzgesetzes ab, bis 2050 eine 100-prozentige Klimaneutralität zu erreichen. Das 2040er Ziel sei gestrichen worden, weil die 70-Prozent-Marke „nicht ausreichend war“. Das völkerrechtlich verbindliche Klimaziel 2030 von „minus 55 Prozent weniger CO2-Emissionen gegenüber 1990“ müsse aber unbedingt erreicht werden.

Rita Schwarzelühr-Sutter plädierte im Blick auf die drohenden Folgen des Klimawandels für einen Bewusstseinswandel, warnte aber vor Alarmismus. Sie wünsche „keine Planwirtschaft, keine Ökodiktatur und keine Umerziehung“, stellte sie klar, doch müsse man sich auf den Weg machen, um aus der Komfortzone herauszukommen und einen Richtungswechsel hin zu weltweit gültigen Standards einer nachhaltigen Lebens- und Wirtschaftsweise vorzunehmen. Die Frage sei, wie Umweltschutz und der Erhalt von Arbeitsplätzen sozial verträglich in Einklang gebracht werden können.

Die Rednerin unterstrich, dass Deutschland auf Platz 6 der weltweit größten CO2-Emittenten einen entscheidenden Einfluss auf den Klimawandel habe und damit in einer besonderen Verantwortung stehe. Was bedeute das in den nächsten Jahren für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Gesellschaft, fragte sie. Die Aufforderung, jetzt zu handeln, betreffe jeden einzelnen von uns, betonte die Politikerin: „Wir werden nicht einfach so weitermachen können so wie bisher.“  Die Politik setze nur die Rahmenbedingungen, damit sich in Wirtschaft und Gesellschaft etwas verändert.

„Wir wollen damit ja niemanden bestrafen. Wir wollen, dass die Leute umsteigen“, sagte Rita Schwarzelühr-Sutter. So gebe es denn auch eine soziale Komponente: Ein klimagerechter Umbau von privat genutztem Eigentum werde steuerlich gefördert. Für den Umstieg von Ölheizung auf eine erneuerbare Wärmeversorgung werde eine Austauschprämie bezahlt. Von 2026 an seien Ölheizungen in Neubauten nicht mehr zulässig. Durch eine moderate CO2-Bepreisung von 10 Euro pro Tonne soll der Verbrauch von Heizöl und Erdgas sozialverträglich gedrosselt werden. Das Mietrecht werde dahingehend geprüft, ob Vermietern untersagt werden kann, die Mehrkosten des CO2-Preises in vollem Umfang weiterzugeben.

Es gebe laut Wissenschaft neun natürliche Belastungsgrenzen weltweit, so Schwarzelühr-Sutter. Davon seien vier bereits überschritten: beim Klimaschutz, beim Artenschutz, bei der Landnutzung sowie beim Stickstoff- und Phosphorkreislauf. Das heißt, der Planet könne sich in diesen Bereichen nicht mehr regenerieren. Die Folgen seien bekannt. So habe sich die Weltgemeinschaft 2015 mit dem völkerrechtlich verbindlichen Pariser Klimaschutzabkommen darauf geeinigt, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad zu begrenzen, möglichst unter 1,5 Grad.  

Eine wichtige Zielmarke für die Sozialdemokraten sei es in den Verhandlungen gewesen, bis 2030 die Stromproduktion zu 65 Prozent aus erneuerbaren Energien zu realisieren. Gefördert werden soll der Ausbau des ÖPNV durch Erhöhung der Bundesmittel, durch zusätzliche Investitionsmittel für die Bahn, eine Senkung der Mehrwertsteuer für Bahntickets, eine Erhöhung der Gelder für den Regionalverkehr in den kommenden Jahren sowie zusätzliche Mittel im Rahmen des Gemeinde- und Verkehrsgesetzes. Im Individualverkehr werde die Kfz-Steuer an den CO2-Ausstoß gekoppelt.  Absehbar sei, dass Benzin und Diesel um 10 Cent teurer werden. Ein moderater Anstieg sei aus sozialen Gesichtspunkten wichtig, so die Rednerin. Auch werde im Gegenzug die Pendlerpauschale erhöht. Die Maut für LKW, die viel C02 ausstoßen, steige. Der Bau von einer Million öffentlicher Ladepunkte für E-Autos und eine Verlängerung der Kaufprämien-Laufzeit für E-Autos solle dazu führen, dass 2030 zwischen 7 bis 10 Millionen Elektroautos auf deutschen Straßen fahren.

Zur Kritik am niedrigen Einstiegspreis von 10 Euro pro Tonne CO2 äußerte die Politikerin, dass sich die SPD grundsätzlich einen höheren Preis hätte vorstellen können, aber bei dem Kompromiss auch auf die Sozialverträglichkeit habe achten müssen. „Eine CO2-Preis in Höhe der vielfach geforderten 35 Euro je Tonne Treibhausgas hätte die Leute mehr getroffen“, befand die SPD-Politikerin. Da ab 2020 durch den dann fälligen Kauf von Klimazertifikaten hohe Zahlungen drohen, wenn Deutschland die EU-rechtlich verbindlichen Klimaschutz-Ziele nicht erreicht, sei es besser jetzt in den Klimaschutz zu investieren, so Rita Schwarzelühr-Sutter.

Die Diskussion drehte sich unter anderem um die Frage eines Tempolimits, das die SPD bereits 2009 auf ihrem Hamburger Bundesparteitag beschlossen hat, dem die Staatssekretärin aber eher einen Symbolwert beimaß. Die Festlegung verbindlicher Standards auch für Gemeinden, um den Prozess des Klimaschutzes auf der Grundlage quantifizierbarer Parameter steuerbar zu machen, wurde angeregt. Zu bedenken wurde gegeben, dass die E-Mobilität - anders als die (derzeit noch unwirtschaftliche) Wasserstofftechnologie - wegen der mit Umweltzerstörung einhergehenden Rohstoffgewinnung für Lithium-Batterien keine Zukunft habe. Man müsse den Leuten halt jene Alternativen bieten, die zeitnah umsetzbar sind, gab die Rednerin zu bedenken. Angesprochen wurde in der gut einstündigen Diskussion, dass die E-Mobilität allein kein Mittel sei, die notwendige Verkehrswende herbeizuführen.

Ein anderer Vorschlag lautete, die Warenströme in der globalisierten Welt zu begrenzen, um auf diese Weise den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Dem Vorwurf eines Zuhörers an die Staatssekretärin, dass sie zu dieser Veranstaltung mit einer „dicken Limousine“ angereist sei, konterte die Rednerin mit dem Hinweis, dass es sich dabei um ein Elektroauto mit Bürofunktion handele. Dass die CO2-Bepreisung tatsächlich eine Zumutung sei, gleichwohl aber hingenommen werden müsse, lautete die Einlassung eines Zuhörers, der dafür plädierte, den Menschen für ihre Mehrausgaben „dann aber auch etwas zurückzugeben“. Die moderate Preiswirkung von 10 Euro je Tonne CO2 sei zunächst einmal als Anreiz für die Bürgerinnen und Bürger gedacht, den Systemwandel mitzumachen, sagte die Staatssekretärin. Und wenn es, wie etwa im Sektor Heizen, zu Mehrbelastung gering verdienender Mieter komme, könne das über ein höheres Wohngeld ausgeglichen werden.  Die Frage sei, wie die Themen Klimaschutz, Arbeitsplatzsicherung und nachhaltige Wirtschaftsweise unter einen Hut zu bringen seien, so Rita Schwarzelühr-Sutter. Nachhaltigkeit sei nicht nur beim Umweltschutz, sondern auch bei den sozialen Standards anzustreben.

Bernd Michaelis

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